Ich möchte heute über ein Thema sprechen, das uns Lehrkräften oft nicht genug Aufmerksamkeit bekommt, obwohl es für unser Wohlbefinden entscheidend ist: unsere eigene Gesundheit. Besonders in unserem Berufsfeld, wo wir täglich mit hohen Erwartungen, Zeitdruck und vielfältigen Anforderungen konfrontiert sind, kann die körperliche und mentale Gesundheit stark belastet werden. Stress, Erschöpfung oder das berühmte „Ausbrennen“ sind bei uns keine Seltenheit – im Gegenteil, viele von uns kennen diese Phasen nur zu gut. Die Frage ist also: Was können wir tun, um unserer Gesundheit in diesem anspruchsvollen Beruf wirklich gerecht zu werden?
Einer der Ansätze, die in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen haben und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert, ist die Positive Psychologie. Vielleicht hast du bereits davon gehört oder sogar schon etwas darüber gelesen – aber wusstest du auch, dass die Methoden und Techniken der positiven Psychologie nicht nur das Wohlbefinden von Lehrerinnen und Lehrern fördern, sondern auch das gesamte Schulklima und die Unterrichtsgestaltung nachhaltig positiv beeinflussen können? Ich möchte dir im Folgenden zeigen, wie diese Ansätze konkret umgesetzt werden können und welche enormen Vorteile sie für unsere Gesundheit und den Unterricht bieten.
Die Basis der positiven Psychologie: Ressourcenorientierung statt Defizitorientierung
Die positive Psychologie, begründet von Martin Seligman, stellt eine Art „Wende“ in der psychologischen Forschung dar: Statt sich vor allem auf Probleme, Defizite und die Heilung psychischer Erkrankungen zu fokussieren, richtet sie den Blick gezielt auf die Stärkung positiver Aspekte wie Resilienz, Freude, Dankbarkeit, Mitgefühl und das Erleben von Sinn.
Warum sollte diese Herangehensweise für uns Lehrerinnen und Lehrer so wertvoll sein? In unserem beruflichen Alltag erleben wir uns oft als Problemlöser. Jede Unterrichtsstunde stellt eine neue Herausforderung dar, sei es durch schwierige Themen, Zeitdruck oder die individuellen Bedürfnisse und Schwierigkeiten unserer Schüler. Der Fokus auf Lösungen ist dabei zwar notwendig – er führt jedoch oft dazu, dass wir unsere eigenen Ressourcen und positiven Erlebnisse vernachlässigen. Hier setzt die positive Psychologie an: Sie lehrt uns Techniken, mit denen wir gezielt positive Gefühle, eine optimistische Grundhaltung und emotionale Stabilität aufbauen können.
- Selbstfürsorge und das Aufbauen von Resilienz durch positive Routinen
Selbstfürsorge und Resilienz bilden die Basis für unsere psychische Gesundheit. Die positive Psychologie stellt hierfür Werkzeuge bereit, mit denen wir Schritt für Schritt positive Routinen entwickeln können, die uns langfristig stärken.
Zum Beispiel kannst du kleine, tägliche Übungen integrieren, die deine Aufmerksamkeit gezielt auf positive Momente lenken. Eine einfache Methode ist das Führen eines „Dankbarkeitstagebuchs“. Notiere dir jeden Tag mindestens drei Dinge, für die du dankbar bist – und das können auch ganz kleine Momente sein: ein gutes Gespräch mit einem Kollegen, ein herzliches Lachen deiner Klasse oder ein Moment der Ruhe in der Pause. Diese Übung mag simpel erscheinen, aber sie schult langfristig deinen Fokus auf das Positive und stärkt so dein seelisches Immunsystem.
- Achtsamkeit als Grundlage für Stressbewältigung
Achtsamkeit, eine zentrale Technik der positiven Psychologie, hat sich als sehr hilfreich erwiesen, um den stressigen Lehreralltag besser zu bewältigen. Achtsamkeitsübungen fördern die Fähigkeit, im Hier und Jetzt zu sein und Gedanken sowie Gefühle ohne Urteil wahrzunehmen. Studien haben gezeigt, dass regelmäßige Achtsamkeitspraktiken den Stresspegel senken und die emotionale Belastbarkeit erhöhen.
Wenn du beispielsweise einen Moment der Anspannung oder Überforderung erlebst – sei es in der Klasse oder beim Korrigieren von Arbeiten –, kannst du eine kurze Achtsamkeitspause einlegen: Schließe für einige Atemzüge die Augen und konzentriere dich nur auf deinen Atem. Lass deine Gedanken einfach fließen, ohne auf sie einzugehen. Verlängere bewusst den Ausatem gegenüber dem Einatem, um deinen Parasympathikus zu aktivieren. Diese kleinen Pausen helfen dabei, nicht in negative Gedankenschleifen zu geraten und Abstand zu gewinnen. Du kannst sie als Anker nutzen. Achtsamkeit ermöglicht es dir so, einen klaren Kopf zu bewahren und die Situation ruhig und konstruktiv anzugehen.
- Sinn und Erfüllung im Beruf durch das Konzept „Flow“
Ein weiterer wichtiger Ansatz der positiven Psychologie ist das „Flow-Erlebnis“, ein Zustand des vollständigen Eintauchens in eine Tätigkeit, bei dem du alles andere um dich herum vergisst. Wir Lehrkräfte erleben diesen Zustand meines Erachtens nach oft, wenn wir ganz in einem interessanten Thema oder einer lebhaften Diskussion mit der Klasse aufgehen. Flow-Zustände erhöhen nachweislich das Glücksgefühl und tragen dazu bei, dass du dich lebendig und erfüllt fühlst.
Versuche, gezielt Gelegenheiten für Flow-Erlebnisse in deinen Unterricht einzubauen. Plane Einheiten, die dir selbst Freude machen, und bringe Themen ein, die dich persönlich interessieren oder inspirieren. Flow kann uns helfen, den oft stressigen und routinierten Alltag wieder als sinnvoll und erfüllend zu erleben.
- Rituale für ein positives Klassenklima
Ein positives Klassenklima ist nicht nur für die Schüler förderlich, sondern auch für uns Lehrer. Rituale und Strukturen, die positive Emotionen fördern, können dabei helfen, ein stabiles und harmonisches Lernumfeld zu schaffen. Eine Möglichkeit ist das Einführen von sogenannten „Erfolgsritualen“, wie zum Beispiel einem kurzen Wochenrückblick, bei dem die Schüler ihre größten Erfolge oder schönsten Momente teilen können. Diese kurzen Momente können nach meiner Erfahrung sehr stark dazu beitragen, die Verbundenheit und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken.
Auch gemeinsames Lachen, etwa durch humorvolle Momente oder kleine Spiele, kann das Klassenklima positiv beeinflussen und Anspannungen lösen. Ein solches Umfeld erleichtert es dir, dich auf das Wesentliche zu konzentrieren und nicht in Kleinigkeiten zu verstricken.
Die Integration von Techniken der positiven Psychologie in den Schulalltag ist also mehr als nur ein Trend – sie bietet praktische Wege, wie wir uns als Lehrerinnen und Lehrer selbst stärken und zugleich unseren Unterricht bereichern können. Durch regelmäßige Selbstfürsorge, gezielte Förderung positiver Emotionen und die Arbeit an wertschätzenden Beziehungen schaffen wir eine Basis, auf der Gesundheit, Motivation und Freude am Beruf wachsen können.
Wenn du beginnst, kleine Schritte in Richtung positiver Psychologie zu gehen, wirst du schnell die Wirkung spüren: Der Alltag fühlt sich leichter an, die Anstrengungen weniger belastend, und du findest neuen Sinn und Motivation in deiner Tätigkeit. Es ist nicht immer einfach, in diesem anspruchsvollen Beruf gesund zu bleiben – aber mit den richtigen Werkzeugen und einer positiven Grundhaltung wird es möglich, in diesem Beruf nicht nur zu überleben, sondern wirklich zu leben und zu genießen.